Sechs schnelle Tipps zum Städtebau für Fantasy-Rollenspiele

Sechs schnelle Tipps zum Städtebau für Fantasy-Rollenspiele

Du willst eine abenteuertaugliche und überzeugende Stadt für deine Runde gestalten, aber nicht Wochen mit dem Stadtdesign verbringen? Mit ein paar Eckpfeilern bekommst du auch kurz und dreckig ein gutes Ergebnis hin.

von Anton Weste

Städte sind ein großartiges Spielfeld im Rollenspiel – und ein Herauforderndes. Nirgends gibt es für die Gruppe so viele Interaktionsmöglichkeiten bei gleichzeitiger Handlungsfreiheit. Kein Setting bietet im Hintergrund so komplexe Vorgänge, Abhängigkeiten und Motivationen, die eine Auswirkung auf die Spielercharaktere und ihre Szenen haben. Das Spielfeld der Wildnis, eine von der Außenwelt abgeschlossene Burg und ein Dungeon haben alle ihren Reiz und sie können schnell entworfen werden – aber die Stadt als Spielort ist die anspruchsvolle Königin unter den Settings.

Gelingt dein Stadtdesign also nur mit einem Riesenaufwand? Musst du drei Semester Fantasy-Stadtplanung belegen, so gigantische wie detailreiche Pläne zeichnen und wochenlang akribisches Worldbuilding betreiben? Nein. Wenn deine Stadt nur für eine paar Sitzungen Spaß bieten soll, kommst du auch mit weit weniger aus.

Ein paar Leitgedanken können dir helfen, eine Stadt für deine Spielbedürfnisse schnell aus dem Ärmel zu schütteln. Und wo deine Notizen keine direkte Antwort liefern, kannst du mit ihnen ganz entspannt improvisieren. Hier kommen sechs Tipps zum schnellen Städtebau.

1. Vom Kleinen ins Große

Es gibt keine Notwendigkeit, die Stadt aus der Satellitenperspektive zu entwickeln und erstmal die naturräumlichen, historischen und soziodemographischen Voraussetzungen bis ins Letzte auszudefinieren. Nutze statt des Top-down lieber den Bottom-up-Pfad und starte mit dem Detail, dass dich an genauer dieser Stadt fasziniert: Hier ist es Mode, sich Riesenhirschkäfer zu halten und einander mit edlen Zucht-Exemplaren zu übertrumpfen? Die Stadt wurde um einen uralten 200 Meter hohen Karneol-Obelisken errichtet, der seine Geheimnisse nicht preisgibt? Alle Besucher müssen sich einer dreitägigen Prüfung ihrer Gesinnung unterziehen, ehe sie die Stadt betreten dürfen? Alles hübsche Ideen. Überlege davon ausgehend, wie die Stadtstruktur, die Gesellschaft, die Mächtegruppen, die Historie, die Religion und die bemerkenswerten Gebäude beschaffen sein müssen, wenn dieses Kernelement gesetzt ist. Gehe Schritt für Schritt vor und beantworte zunächst alles, was für deine Stadtidee am relevantesten scheint. So kommst du nach und nach zu einem hinreichenden Gerüst, das sowohl plausibel als auch unterhaltsam ist.

Den Stadtplan? Zeichne ihn zum Schluss, wenn du schon grob weißt, was die Stadt alles ausmachen und beinhalten soll.

Du hast etwas Essenzielles zum Funktionieren der Stadt vergessen wie die Nahrungsmittelversorgung, Handelswege oder Friedhöfe? Vertrau auf den suspense of disbelief und liefere notfalls eine Erklärung nach. Die meisten Spielerinnen und Spieler sind nicht darauf aus, Fehler aus deinem Stadtdesign herauszupicken, sondern wollen sich von deinem Werk einfach gut unterhalten lassen.

2. Lass Lücken – und füll sie dynamisch

Ganz gleich, wie viel Zeit und Textzeilen du in die Stadtbeschreibung steckst: Sie wird nie alles abdecken können. Selbst 600-Seiten-Wälzer wie Ptolus oder Gareth können (und wollen) nicht jedes Haus beschreiben. Stress dich also nicht mit einem Vervollständigungsdrang. Du solltest die Lücken als Gelegenheit sehen: Wo du grobmaschig bleibst, kannst du später immer noch Tempel, Akademien, Diebesgilden, ja ganze Stadtteile einbauen, wenn du sie brauchst. Was vordefiniert ist, kann dir auch später im Wege sein.

Ja, die Gruppe wird früher oder später mit Orten und Personen agieren wollen, die du nicht näher beschrieben hast. Halte dafür dynamisches Spielmaterial bereit, mit dem du ad hoc die Szene gestaltest: Zufallstabellen für Häuser und Begegnungen, Namensgeneratoren für NSC, Gerüchte und Gesprächsthemen.

3. Gib deiner Stadt zwei Gesichter

Erschaffe eine eigene Rollenspiel-Stadt

Geheimnisse sind die beste Zutat, damit die Spielercharaktere nicht das Interesse verlieren. Die Stadt ist prädestiniert dafür, dass Personen und Mächtegruppen zwei Seiten besitzen: In der Öffentlichkeit stellen sie ein rechtschaffenes Bild zur Schau, wollen für ihre Umgebung anständig erscheinen. Doch im Geheimen zeigen sie ein anderes Antlitz, das ihre wahren Motive enthüllt. Was könnten die barmherzige Patrizierin, der gefeierte Gladiator, die Reinheit predigende Priesterin oder der Gentleman-Gauner für Geheimnisse haben, die ihnen gefährlich werden? Welche Ängste, Hoffnungen und Bedürfnisse treiben sie, die sich nicht mit ihrer öffentlichen Rolle vereinbaren lassen? Wenn du diese Fragen beantworten kannst, wird deine Stadt mehrschichtig und bietet erzählerische Tiefe. Und: Vergrab die Geheimnisse der Figuren nicht zu gut. Sie sind dazu da, dass sie von SCs entdeckt werden können. Skandal, Erpressung, Erlösung? Das liegt ganz in der Hand deiner Runde.

4. Verknüpf Orte, NSCs und Gruppierungen untereinander

Die Stadt existiert auch ohne die SCs und lebt selbst dann, wenn die Spieler gerade nichts unternehmen. Das lässt sich am leichtesten bewerkstelligen, indem du die Personen, Mächtegruppen und Gebäude mit ihren Motivationen und Geschichten untereinander verknüpfst. Denn letztlich ist eine Stadt genau das: ein Netzwerk aus Abhängigkeiten. Deine Heilerin Alrike im Brückenviertel ist kräuterkundig und eher schlecht bei der Behandlung von Krankheiten? Guter Start. Aber um wie viel facettenreicher wird ihre Figur, wenn du Verknüpfungen ergänzt: Sie braut außerdem für die Unterweltgilde der Schwarzrosen verbotene Rauschmittel und steht unter deren Schutz. Den sie auch braucht, seitdem die Schwester einer Unterweltgröße aus anderer Bande an Wundfieber starb – und zwar just nachdem sie zur Behandlung bei Alrike gewesen war.

5. Schaff Raum für Dungeons

Märkte, Ratshallen, Tempel, Gildenhäuser, Stadttore – das sind wichtige Elemente einer Stadt, nicht wahr? Ganz richtig, doch du solltest nie vergessen, dass es auch Orte gibt, die weniger im Licht der Öffentlichkeit stehen. Früher oder später wirst du Schauplätze brauchen, an denen sich nur übles Gelichter herumtreibt, in die sich ein typischer Bürger nie hintrauen würde und an dem sich Bösewichte den SCs stellen, ohne dass die Stadtwache in Rufweite ist. Also: Du brauchst Verliese. Das müssen nicht unbedingt ein rattenverseuchtes Kellergewölbe, die Kanalisation oder eine lichtlose Unterstadt sein. Ebenso bieten sich überflutete Ruinen (wer hat da Havena gesagt?), ein verfluchter Wald (raunt da jemand Gareth?), eine einsturzgefährdete Festungsruine oder auch eine Welt hinter einem magischen Portal an. Im weiteren Sinne sind auch die ganz üblen Stadtteile und Elendsviertel solche Schauplätze: die SCs müssen sich einer oft feindlichen Umgebung erwehren und können auf wenig Hilfe hoffen.

6. Gib allen Spielercharakteren Points of Interest

Vergiss nie, wofür die Stadt – wie alle Settings – in erster Linie da ist: Eine Bühne zu sein, auf der die SCs agieren, glänzen und scheitern können. Orte und Personen, die für die SCs interessant sind, solltest du als Erstes ausarbeiten. Der Halbelf interessiert sich für magische Lehrmeister? Lass uns schauen, was die Stadt da bieten könnte. Die Kämpferin ist in einem fernen Reich gesucht wegen eines Verbrechens? Möglicherweise hat dieses Reich ja eine Gesandtschaft oder Geheimorganisation in der Stadt. Die Bardin verdient ihr Geld mit Auftritten auf Märkten? Überlege dir, wo und wann diese Märkte stattfinden, welche Waren angeboten werden und welche Regeln dort gelten.

Wichtig ist, auch nicht-urbanen Spielercharakteren einen Grund zu geben, in der Stadt zu verweilen. Was könnte das Wolfskind aus den Steppen des Nordens interessieren? Was bietet die Stadt dem Karawanenführer aus der Salzwüste, der einem gänzlich anderen Glauben folgt? Wenn du dafür Antworten findest, verringert sich die Chance, dass sich die Gruppe aufspaltet oder Teile von ihr langweilen.

 

Du willst mehr Tipps? Mit Eevie von Orkenspalter TV habe ich mich ausführlich über Städtebau für Pen&Paper-Rollenspiel in Fantasy-Welten unterhalten. Du bekommst im Video Einblick in die Schwierigkeiten des Stadtdesigns, Inspirationen für eigene Stadtkreationen und allerhand Hinter-den-Kulissen-Anekdoten zur Entstehung der DSA-Stadtbeschreibungen Havena – Versunkene Geheimnisse und Gareth – Kaiserstadt des Mittelreichs.

 

Über den Autor

Anton Weste

Anton Weste ist Rollenspiel-Autor, Game Designer und Journalist. Er schreibt seit 25 Jahren für Das Schwarze Auge und war zehn Jahre Mitglied der DSA-Redaktion. Aus seiner Feder stammen unter anderem die Spielhilfen Havena – Versunkene Geheimnisse und Gareth – Kaiserstadt des Mittelreichs, das Computerspiel Drakensang sowie die Abenteuer Blutige See, Schlacht in den Wolken und Namenlose Nacht.

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