Pläne des Schicksals: Was Aventuriens Kartenschöpfer inspirierte (Teil 1)

Pläne des Schicksals: Was Aventuriens Kartenschöpfer inspirierte (Teil 1)

Landkarten, Stadtpläne, Grundrisse von Verliesen – die Künstlerinnen und Künstler der DSA-Karten geben uns Orientierung für Abenteuer in Aventurien. Hier erzählen sie von den Werken, die sie in ihrer Arbeit inspirierten

von Anton Weste

„Wo sind wir? Ach da.“ So alt wie Das Schwarze Auge selbst sind auch Karten, die es Helden und Spielleitung ermöglichen, auf einen Blick die aktuelle Situation zu erfassen. Der erste Plan überhaupt zeigte die Keller, in die frischgebackene Helden damals zu Silvanas Befreiung hinabstiegen, 1984, in der allerersten Spielbox des Schwarzen Auges. Entsprechend der damaligen Spielweise zeigten Pläne vor allem Verliese, Gänge, Räume, Fallen. Aber mit dem Wachsen der Spielwelt wuchs auch die Bandbreite der Darstellungen. Zeichnerinnen und Zeichner erfreuten DSAler mit einer stetig zunehmenden Zahl an Aventurien- und Regionalkarten, Stadtplänen und Burgansichten, Schiffsgrundrissen und Battlemaps.

Diana Rahfoth - Selem
Bild: Diana Rahfoth - Karte von Selem

Immer wieder entstanden dabei Werke von schlichter Schönheit oder gewaltigem Detailreichtum. Im Schwarzweißdruck oder Vierfarbdruck, in Postkartengröße oder im riesigen A1-Format beeindrucken sie die Rollenspielgemeinde.

Die Zahl von Karten und Plänen für Aventurien dürfte im niedrigen vierstelligen Bereich liegen. Man bedenke: Allein die farbigen Regionalkarten gingen in ihrer ersten Version in die Dutzende. Von den 100 größten Städten Aventuriens haben mittlerweile fast alle einen Stadtplan. So gut wie jeder der über 250 Abenteuerbände umfasst einige Pläne. Regionalspielhilfen enthielten Karten und Stadtpläne oft im halben Dutzend. Und mit den Aventurischen Kartenwerken und den Landkartensets kommen Kartensammlungen auch als alleinstehende Produkte daher.

Wo früher Lineal, Entwurfpapier, Tusche, Acrylfarben und Copic-Marker zu den Hauptwerkzeugen gehörten, erweiterten später digitale Tools die Zeichenpalette und die Möglichkeiten. Wie 1984 gilt aber immer noch: Jeder Plan ist das Ergebnis intensiver Überlegungen zur Konstruktion, Darstellung und Komposition, ein Produkt handwerklicher Finesse und künstlerischer Erleuchtung. Klingt nach etwas viel Pathos? Gut so. Ich bin selbst ein großer Freund schön gemachter Karten. Vom Können der Meister lasse ich mich gern inspirieren, wenn ich etwa mit meinen bescheidenen Mitteln Aventurienkarten für das Scriptorium Aventuris anfertige.
Aber welche Werke sind den versierten Schöpferinnen und Schöpfern des DSA-Kartenwerks selbst im Gedächtnis geblieben? Was hat sie inspiriert und welche Karten lassen noch heute ihre Augen aufleuchten? Das erzählen hier Steffen Brand, Daniel Jödemann und Ina Kramer mit eigenen Worten.

 

Steffen Brand: „Wir stehen auf den Schultern großer Künstlerinnen und Künstler“

Steffen Brand
Bild: Steffen Brand (c) privat

Als Illustrator und Kartograph bei Ulisses Spiele zeichnet Steffen Brand für das Design der Karten vieler Rollenspiele der Waldemser verantwortlich, so etwa bei HeXXen 1733, Tales from the Loop, vor allem aber beim Schwarzen Auge.

Er zeichnet und koordiniert nicht nur die Pläne etlicher DSA5-Bände, sondern erstellt auch eine riesige Aventurienkarte, deren Ausschnitte nach und nach als Regionalkarten erscheinen. 

„Wer heute Kartenwerk für DSA zeichnet, steht auf den Schultern großer Künstlerinnen und Künstler wie Ina Kramer, Markus Holzum, Hannah Möllmann und vieler mehr“,

sagt Steffen. Neben deren Arbeiten blieben ihm vor allem die folgenden Karten besonders in Erinnerung – vielleicht, weil er persönlich damit viel verbindet:

„Daniel Jödemann mit Karten wie Gerasim und Bosparan. Der handgezeichnete Look war gerade in meiner formenden Phase ein Leitstern. Die Karten waren charmant und einladend; sie hatten ein dynamisches und lebendiges Gefühl ausgelöst, waren aber dennoch klar strukturiert. Alle Pläne von ihm wirken nicht generisch, sondern zeigen den Individualismus einer vielseitigen Welt und deren lokale Bedingungen.“

„Die Farbkarte der historieträchtigen Stadt Selem, gezeichnet von Diana Rahfoth. Ich wünschte, es gäbe viel mehr Kartenmaterial von ihr! Die Farbgewaltigkeit und eingefangene Stimmung machen gerade dieses Werk zu einem meiner Favoriten. Es zeigt ein Verständnis und Liebe zu Details, die dennoch nicht aufdringlich ist, sondern zusammen mit der blutenden Strichführung auch ins Unterbewusstsein sickert.“

„Matthias Rothenaichers Version der Zwergenstadt Xorlosch. Ich erinnere mich gern an die Zusammenarbeit daran zurück. Diese Vorlage in irgendeiner verwertbaren Form umzusetzen war nicht einfach, aber die Arbeit die er macht hat immer Hand und Fuß, und ist zuverlässig auf einem professionellen Level, sodass ich mir nie Sorgen machen muss.“

Matthias Rothenaicher - Karte von XorloschBild: Matthias Rothenaicher - Karte von Xorlosch

 

Daniel Jödemann: „Es hat mich schlichtweg umgehauen“

Als Autor wie Kartenzeichner gleichermaßen prägt Daniel Jödemann  Das Schwarze Auge. Ein unbestreitbarer Vorteil, wenn es darum geht, Pläne auf der Basis von Texten und Autorenvorstellungen zu gestalten: Daniel kennt die Sichtweisen und Anforderungen beider Seiten. Der Wuppertaler hat für DSA nicht nur an mehr als einem Dutzend Abenteuer und Spielhilfen mitgeschrieben, sondern auch zehn Romane veröffentlicht. Seit 2005 hat er für DSA, Cthulhu, Splittermond, Space: 1889 und Romane mehr als 230 Pläne und Karten angefertigt.

„Karten und Pläne haben mich schon immer fasziniert“, sagt Daniel.

„Und es waren im Grunde auch die Karten, die mich zu Das Schwarze Auge und Rollenspiel hinführten.“

Daniel_Joedemann (c) Thomas Nentwich & Karte GerasimBild: Daniel_Joedemann (c) Thomas Nentwich & Karte Gerasim

Sein erstes DSA-Produkt überhaupt war das Abenteuer Die Attentäter, das er vor fast 30 Jahren geschenkt bekam, ohne überhaupt zu wissen, wie das (oder irgendein) Rollenspiel funktionierte.

„Der detaillierte DIN-A2-Farbplan von Schloss Ilmenstein, der dem Band beilag, hat mich schlichtweg umgehauen.“

Abenteuer waren damals keinesfalls serienmäßig so luxuriös mit Kartenmaterial ausgestattet – der großformatige Farbplan war eine Ausnahme. Und ein Glücksfall für DSA, wenn er dazu beitrug, dass Daniel schnell Feuer und Flamme für das Rollenspiel war. Der Plan entstammte der Zeichenhand von Ulrich Kiesow selbst, dem Schöpfer des Schwarzen Auges und Autor des Abenteuers.

„Ich denke auch gerne an die alten ‚Pläne des Schicksals’ zurück, aus denen wir damals lernten, dass alle Schurken Aventuriens ihre geheimen unterirdischen Verstecke absolut rechtwinklig anlegten …“, erinnert sich Daniel.

In dieser Kategorie war kaum ein Vorbeikommen an den großartigen und detailreichen Werken von Ralf Hlawatsch, der zahllose Dungeon- und Stadtpläne in den Achtzigern und Neunzigern zeichnete.

„Da waren zum Beispiel die Pläne aus Das Grabmal von Brig-Lo, dem ersten Abenteuer, das ich dann tatsächlich spielte. Selten gehorchten diese Pläne architektonischen Regeln oder den Gesetzen der Statik. Aber das war egal, denn in den schwarzen Strichen auf den gerasterten Seiten erwachten die Abenteuer erst richtig zum Leben.“

Ralf Hlawatsch & Karte Grabmal Brig-LoBild: Ralf Hlawatsch & Karte Grabmal Brig-Lo

„Neben den Plänen gab es aber natürlich noch die wunderbar detaillierten, vollfarbigen und großformatigen Landkarten von Ina Kramer, die damals den Regionalbeschreibungen beilagen.“

28 Karten brauchte es, um den Kontinent im Maßstab 1:1.000.000 vollumfänglich darzustellen. Die Regionalkarten erschienen von 1990 bis 2000.

„Die Karten mit jeder neuen Box zu sammeln, nach und nach den gesamten aventurischen Kontinent zusammenzusetzen und jeden kleinen Ort und jeden Bach zu entdecken, machte die Hälfte des Spaßes aus.“

Aneinandergelegt bedeckten sie zum Schluss eine Fläche von drei mal zwei Metern.

Ich kann Daniels Schwärmen gut nachempfinden. In meiner ersten WG hing eine solche riesige zusammengesetzte Aventurienkarte an der Wand. Die Deckenhöhe von 3,20 Meter machte es möglich.

„Aber ich bin halt auch ein Detailfanatiker“, gibt Daniel zu. „Den Spielern große graue Flächen zur eigenen Ausgestaltung zu geben, ist langweilig, ich ziehe es vor, wenn jede Gasse und jeder Baum vorgegeben und beschrieben sind.“ 

 

Ina Kramer: „Wir wollten Aventurien mit 3D-Effekt zeigen“

Die Urheberin der farbigen Regionalkarten begleitet Das Schwarze Auge seit den Tagen seiner Entstehung. Ina Kramer hat an der Seite von Ulrich Kiesow vor allem mit ihren Illustrationen die Publikationen der frühen Jahre geprägt – und damit ganz erheblich das Bild der Fantasywelt, das viele ‚alte Hasen’ im Kopf haben. Aber Ina ist auch Autorin und erfüllt Aventurien durch Romane mit Leben. Ihre jüngsten Werke: Greetja und Das Chimären-Komplott.

„Die Inspirationsquelle für meine Regionalkarten war eine großformatige Deutschlandkarte mit reliefartiger Landschaftsdarstellung“, erinnert sich Ina.

Ina Kramer & Regionalkarte MhanadiBild: Ina Kramer & Regionalkarte Mhanadi

Die Karte aus dem Studio des legendären österreichischen Panoramakarten-Künstlers Heinrich C. Berann war in den 80ern und 90ern ziemlich populär.

„Eine solche Karte in luftbildartiger Darstellung hing bei uns an der Wand, und Ulli und ich fanden den Gedanken reizvoll, Aventurien in dieser Art – dem sogenannten 3D-Effekt – zu gestalten.“

Die Vorlage für viele derographische Details lieferten dabei Autoren – oder eigentlich treffender gesagt, begeisterte Spieler: 1986 sandten die beinharten DSA-Fans Thomas Römer und Michael Johann, zwei Mathematik- bzw. Physikstudenten aus Bochum, ein großes Paket an Ideen und Material für DSA an die Redaktion und Ulrich Kiesow. Darunter: Ein monströses Kartenwerk, das Aventurien mit Bleistift und Buntstift auf vielen, vielen Blättern A4-Rechenpapier darstellte. Der Maßstab war bereits derjenige, den später die veröffentlichten Landkarten aufwiesen: Aneinandergelegt bedeckten die Seiten leicht eine Tischtennisplatte. Aus den Einsendern wurden bald eifrige und prägende DSA-Autoren. Und von der A4-Blattsammlung haben es etliche Ortschaften auf die finalen Landkarten von Ina geschafft. Die Regionalkarten sind ein Beispiel dafür, wie beim aventurischen Kartenwerk immer wieder die Inspiration durch frühere Gestalter, ausgefeiltes Illustrationshandwerk und der Input von DSA-Autoren und –Begeisterten aufeinandertrafen.

In Teil 2 des Blogbeitrags erwarten dich: Die Inspirationsquellen von Markus Holzum und Diana Rahfoth.

 

Über den Autor

Anton Weste

Anton Weste ist Rollenspiel-Autor, Game Designer und Journalist. Er schreibt seit 25 Jahren für Das Schwarze Auge und war zehn Jahre Mitglied der DSA-Redaktion. Aus seiner Feder stammen unter anderem die Spielhilfen Havena – Versunkene Geheimnisse und Gareth – Kaiserstadt des Mittelreichs, das Computerspiel Drakensang sowie die Abenteuer Blutige See, Schlacht in den Wolken und Namenlose Nacht.

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3 Kommentare

Die detailverliebten Karten und Stadtpläne waren für mich schon immer eine Sache, die mich an DSA mit am meisten begeistert haben.
Dabei hätte ich noch eine Frage: in welcher Publikation ist der tolle Stadtplan von Selem von Diana Rahfoth denn zu finden?
Liebe Grüße Meister Lüers

lüers

Den Dank reichen wir direkt an Anton weiter. Da freut er sich.
Die Bugs im Brig-Lo-Plan sind glaube ich nur den wirklich eingefleischten Spielern bekannt.
Wenn man vorbereitet ist und sich damit auseinandergesetzt hat und zusätzlich das Alter des Plans berücksichtigt, kann man, denke ich, ein Auge zudrücken und trotzdem damit arbeiten und Spaß haben. :)

RPGMarket

Jaa, der Brig-Lo-Plan… schönes Dungeon, aber dass die Karte gleich mehrere Bugs enthielt (zwischen K7und L7 ist z.B. eine Geheimtür, D14 hat eine Nordwand…), trug nicht gerade um Verständnis bei.
Schöner Artikel, danke.

Klaus

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